"Befreit euch vom Fernseher!"

- nordmedia Business-Frühstück zum Thema "Web-TV"

Der Konsum bewegter Bilder wächst - abseits des Fernsehens

Längst sind Zuschauer zu Programmdirektoren geworden. Sie schauen Nachrichten, Filme und Serien wann und wo es ihnen beliebt. Wie sich Produzenten auf die geänderte Mediennutzung einstellen können, skizzierte Christian Jakubetz am 28. Oktober beim nordmedia Business-Frühstück.

Gerade junge Zuschauer halten es laut Jakubetz für selbstverständlich, dass sie ihre bevorzugten Programme als Videos jederzeit im Netz abrufen können und dabei auch Zusatzinformationen finden. Das soll auch von unterwegs möglich sein per Handy, PDA oder Playstation Portable. Zwar spielen auch Offline-Medien wie DVD oder Blue Ray noch eine Rolle. Einen linearen, fest vorgegebenen Programmfluss wie den des Fernsehens akzeptieren Nutzer aber nicht mehr. Das lässt sich gut an der Popkultur besichtigen: Nicht mehr MTV, sondern YouTube bringt die neusten Musikvideos.

Die Deutschen kehren ihren Fernsehgeräten den Rücken, die Quote intensiver Nutzung wird laut der Studie Deutschland Online 4 bis 2011 von 73 auf 48 Prozent sinken. Aber insgesamt wachse der Film- und Videokonsum durch den umgekehrt proportionalen Anstieg der IPTV-Nutzung. Das bestätigt auch die ARD-ZDF-Online-Studie 2009: Die Nachfrage der regelmäßigen Nutzer nach Online-Videos ist von 55 auf 62 Prozent gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. Deshalb warnt Christian Jakubetz davor, neue Nutzungsweisen zu blockieren. Manche Rechte-Inhaber haben das wohl auch begriffen: So startet die neue, vierte Stromberg-Staffel parallel zur TV-Premiere als DVD. Das lässt immerhin eine nonlineare Rezeption zu.

Jederzeit auf allen Kanälen

Mit dem Wandel der Mediennutzung ändert sich zugleich die Distribution. Das ?Muttermedium? Fernsehen verliere laut Jakubetz sein Monopol auf bewegte Bilder. Die Inhalte emanzipieren sich überhaupt von einzelnen Trägermedien. Neue Trägermedien sollten vor allem zwei Merkmale mitbringen, um bestehen zu können: Sie müssen Inhalte ständig verfügbar halten und diese personalisiert ausgeben können - sei es als Podcast, per RSS-Feeds oder im Push-Verfahren. Für alle neuen Distributionskanäle gilt: Die Inhalte kommen zum Nutzer, nicht mehr umgekehrt. Produzenten dürfte erfreuen, ihre Zielgruppen nicht nur präziser, sondern fast überall jederzeit erreichen zu können, wenn sie die einmal hergestellten Inhalte crossmedial ausspielen. Kleinere Anbieter wie Tageszeitungen, die eigene Videoberichte auf ihrer Website zeigen, werden es trotzdem schwerer haben, ihr Publikum zu erreichen. Denn bislang dominieren Videoportale gegenüber Videopodcasts und Mediatheken. Allein YouTube liefert 99 Prozent der im Internet gespielten Videos.

Günstig und schnell statt Hochglanz

Die angestammten Formate gerade des Fernsehjournalismus lassen sich aber nicht eins zu eins ins Netz übertragen. Christian Jakubetz sieht den Trend in Richtung günstigere Produktion und weniger Perfektion gehen. Schnelligkeit und Flexibilität seien wichtiger als Hochglanz. Statt EB-Teams produzieren etwa einzelne Videojournalisten Beiträge, die sie selbst am Notebook schneiden und ins Netz stellen. Auch gut gemachte nutzergenerierte Inhalte erobern das normale Fernsehen, was etwa der von Al Gore gegründete US-Sender Current TV belegt. Die gestiegene Nachfrage nach lokalen und regionalen Themen dürfte vor allem für die Internettauftritte der Tageszeitungen interessant sein. IP-basierte Spartenkanäle eignen sich weiterhin zur Positionierung von Special-Interest-Themen. Wer auf die crossmediale Distribution seiner Inhalte zielt, muss seine Produktionsabläufe von Anfang an dafür optimieren. Schließlich konsumieren Zuschauer die Beiträge auf völlig verschiedenartigen Endgeräten in unterschiedlichen Rezeptionssituationen.

Experimente und Erfolge

Als besonders gelungene Beispiele für Videojournalismus im Netz hob Christian Jakubetz die Berichterstattung der New York Times zu Präsidentschaftswahl hervor: Einzelne Themen des TV-Duells lassen sich in einer Zeitleiste zielgenau anfahren. Neben dem Videobild zeigt die Website Transkripte und Kommentare zum laufenden Abschnitt des Videos. In Deutschland hat der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Elektrische Reporter dem Handelsblatt dank simpel, aber pointiert produzierter Clips der Zeitung ein jüngeres Publikum zugänglich gemacht. Die Beiträge laufen nicht nur auf der eigenen Website, sondern auch auf YouTube und dem ZDFinfokanal. Die interaktive Version der Tagesthemen steckt hingegen noch in der Testphase.

Wer soll das bezahlen?

So interessant und vielfältig innovativen Produzenten die neuen Medien auch erscheinen mögen, eine Frage bleibt: Welche Geschäftsmodelle sichern die Finanzierung inmitten der Kostenloskultur des Internet? Wie außerdem lässt sich angesichts der Übermacht von YouTube das eigene Internet-TV bekannt machen? Womöglich, so Jakubetz, vermehren sich mit den Nutzungsweisen auch die denkbaren Geschäftsmodelle. Und Aufmerksamkeit ist in Zukunft weniger über die herkömmlichen Werbemittel zu erreichen, sondern im Netz selbst - das zeige dieser Tage die unsäglich anmutende Website www.Finsdorf.de, die gewitzt die neue Stromberg-Staffel anschiebt.

Das nächste nordmedia Business-Frühstück findet am 1.12.2009 im Central-Hotel KAISERHOF statt. Weitere Informationen finden Sie hier: nordmedia Business-Frühstück: "Hannovers Next Topmodel"

Autor: Michael Lange