Projektstipendium Filmstart Bremen 9 - sechs Projekte ausgewählt
Seit 2015 existiert das von der nordmedia und dem Filmbüro Bremen initiierte Projektstipendium Filmstart Bremen, das künstlerische Filme und Nachwuchsfilmprojekte mit einem Förderbedarf zwischen 1.000 und 10.000 Euro fördert. In der neunten Runde wurden von insgesamt 30 eingereichten Projekten sechs Bremer Projekte gefördert. Ziele von Filmstart Bremen sind sowohl die Förderung des Nachwuchses sowie der Professionalisierung als auch die Unterstützung von filmkünstlerischen Projekten etablierter Filmschaffender.
Die unabhängige Jury bestand in diesem Jahr aus Julia Niethammer (Produzentin Chromosom Film, Berlin), Hajo Schomerus (Kameramann und Professor an der Internationalen Filmschule, Köln) sowie Barbara Schweizerhof (Filmkritikerin, Berlin/FFM).
Bei den diesjährigen Einreichungen wurde die Relevanz der Projektentwicklung und Recherchearbeit deutlich. Dieser Umstand spiegelt sich in den sechs ausgewählten Projekten wieder: Die Recherche einer Künstlerin zum Thema Heimweh, eine fiktionale Annäherung an den Umgang mit Depression innerhalb der Familie, eine Suche nach verlorenen Stränden auf den Kapverdischen Inseln, die Vergangenheit Afghanistans, wilde Streiks türkischer Arbeiter 1973, sowie ein Tanzfilm, welcher das Thema Flucht thematisiert.
Gefördert werden durch das Projektstipendium Filmstart 09
Le Hemwé
Essayfilm von Elianna Renner
5.500 Euro, Projektentwicklung
Die Film-Recherche setzt sich sowohl mit der Geschichte der Maladie Suisse (Schweizer Krankheit) als auch der Geschichte des Heimwehs auseinander. Der Begriff Maladie Suisse stammt aus dem 17.Jhd. und beschreibt Schweizer Söldner, die in der Fremdenlegion an Heimweh erkrankten.
Jurybegründung: Was hat eine Schweizer Kuh mit Heimweh zu tun? Das wollen wir wissen und vor allem sehen und erleben. Wir freuen uns über ein Projekt, das einen originellen und eigenwilligen Blick auf das Phänomen Heimweh wirft. Die erfrischende und stimmige Projektvorstellung von Elianna Renner, die historische Recherche mit Experimentierfreude, Humor und persönlicher Erfahrung verflicht, überzeugt uns und macht uns Lust auf einen Film mit ganz eigener künstlerischer Sprache.
Between the Devil and the Deep Blue Sea
Tanzfilm von Alasdair Jardine, Volker Klein, Helge Letonja
9.914 Euro, Produktionsförderung
"Between the Devil and the Deep Blue Sea“ handelt von Menschen, die durch Umstände, welche sie nicht selbst verändern können, gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. So nahmen sie große Risiken und konkrete Gefahren auf sich und suchten sichere Orte.
Jurybegründung: In einer künstlerisch sehr schlüssigen Weiterführung ihres Konzeptes entwirft der Projektantrag eine sehr filmisch gedachte Tanzerfahrung. Migrationsbiographien werden nicht nur verarbeitet, sondern Tänzer:innen sind mit ihren persönlichen Erfahrungen als künstlerische Persönlichkeiten in den Prozess auf Augenhöhe integriert, ein Konzept, dass die Jury sowohl nicht nur inhaltlich und künstlerisch, sondern auch im entworfenen Prozess überzeugt.
Die wilden Streiks von 1973
Dokumentarfilm von Orhan Çal???r
7.850 Euro, Projektentwicklung und Materialsicherung
Im August 1973 traten bei den Ford-Werken in Köln-Niehl tausende Arbeitende in den Streik. Der Anlass war die Entlassung von über 300 türkischen Kolleg:innen, die aus dem Urlaub spät zurückkamen. Weder die IG-Metall, noch der Betriebsrat unterstützten den Streik. Träger des Arbeitskampfes waren die über 12.000 türkische Arbeitende, die fast alle in der Endmontage am Band in der Y-Halle arbeiteten und in den niedrigsten Lohngruppen eingestuft waren. Eine vor allem von den Gewerkschaften noch nicht aufgearbeitete bundesrepublikanische Geschichte.
Jurybegründung: Es ist ein Stück bundesdeutscher Arbeitergeschichte, das es unbedingt verdient, bekannt und sichtbar gemacht zu werden. Wobei nicht allein die historischen Fakten des Streiks schon fesseln, sondern auch die Rolle, die Vorurteile und die Marginalisierung von Arbeitsimmigrant:innen sowohl im Kampf selbst als auch in der Geschichtsschreibung dazu spielen. Die Dringlichkeit der Materialsicherung heute, 50 Jahre nach den Ereignissen, ist absolut offensichtlich, zur schnellen Umsetzung des Vorhabens möchte die Jury sehr gerne beitragen.
A Piece of the Sea
Dokumentarfilm von Ren Evora
4.900 Euro, Förderung der Projektentwicklung
Mit den Mitteln des künstlerischen Dokumentarfilms werden die Hintergründe und Folgen der Kolonialisierung der Ozeane erforscht. Im Fokus stehen Menschen auf den westafrikanischen Kapverdischen Inseln und im Senegal, deren Leben in unterschiedlicher Form mit der ansässigen Fischerei verbunden ist. Die EU-subventionierte Überfischung führt zur Vernichtung der Lebensgrundlagen dieser Menschen vor Ort. Eine von vielen Folgen sind Migrationsbewegungen in die EU. Am Rande werden Bremerhaven und Bremen in ihrer Rolle in der Infrastruktur der Ausbeutung, aber auch als Ziel der Emigration betrachtet.
Jurybegründung: Um zu verstehen wie wir als Steuerzahler und Konsumenten zu drastischen Veränderungen von Landschaften, Orten und Lebensumständen beitragen bedarf es mutiger Filmemacher:innen, die sich an diese Orte begeben, Menschen treffen und ihre Lebensrealität abbilden. Ein künstlerischer Dokumentarfilm steht und fällt mit seinen Protagonisten, aber auch mit einem starken visuellen Konzept. Um dieses zu entwickeln und eine eigene Filmische Sprache zu finden unterstützen wir Ren Evora in der Recherche für ihren Dokumentarfilm.
Ein Blick zurück
Dokumentarfilm von Jacqueline Peters
2.000 Euro, Förderung der Projektentwicklung
Ein Blick zurück soll die Diskrepanz zwischen den Lebensrealitäten von jungen Frauen aus Afghanistan heutzutage im Vergleich zu jenen, die ihr Land schon viel früher verließen erforschen. Mit der Projektentwicklung für einen künstlerischen Kurzfilm, basierend auf dokumentarischen Geschichten, soll das Lebensgefühl von Frauen auf der Flucht generationenübergreifend eingefangen werden und eine visuelle Form der Sichtbarmachung der Situation in Afghanistan und im Exil entwickelt werden.
Jurybegründung: Jaqueline Peters' Fragestellung hat die Jury auf Anhieb überzeugt: Afghanische Frauen mit Fluchterfahrung nicht auf letzteres zu reduzieren, sondern im Befragen verschiedener Protagonistinnen Generationsunterschiede und daran auch vergessene Geschichte deutlich zu machen. Das Projekt verspricht so spannend wie aktuell zu werden.
Solang ein Stern am Himmel steht
Spielfilm von Maria Manasterny (Regie) und Roshan Margraf (Produktion)
6.000 Euro, Produktionsförderung
Es ist ein Sommer, in dem der Familienvater wie offenbar jedes Jahr eine depressive Episode hat, in deren Verlauf er einen erweiterten Suizid androht. Fast schon routiniert flieht die Familie für einige Tage zur Oma und kehrt ebenso routiniert wieder ins Haus zurück. Der Film handelt von der Normalisierung von Gewalt im Alltag einer Familie und portraitiert diesen in atmosphärisch dichten Bildern zwischen Sommereis und Abenteuern in der Sonne einerseits und klaustrophobischer Angst vor der Katastrophe andererseits.
Jurybegründung: In diesem Projektantrag überzeugte besonders die geplante filmische Umsetzung, die in einer überzeugenden Visualität den literarischen Entwurf erweitert. Der geplante Film soll in einer poetischen, auch ironischen Distanz einen ungewöhnlichen künstlerischen Zugang zur Reflexion über ein gesellschaftlich relevantes Thema eröffnen. Die Jury überzeugt dieses Konzept von assoziativer Narration, visuellem Entwurf und Thematik.