Projektstipendium Filmstart 6 - acht Projekte ausgewählt

Zum sechsten Mal wurde das von nordmedia und Filmbüro Bremen entwickelte Projektstipendium für Nachwuchsfilmprojekte und künstlerische Filme vergeben. 29 Projekte mit einem Förderbedarf zwischen 1.000 und 10.000 Euro wurden eingereicht. In diesem Jahr standen insgesamt 37.000 Euro zur Verfügung.

Die Jury bestand aus Susanne Heinrich (Filmemacherin, Leipzig), Dr. Cosima Lutz (Filmkritikerin, Berlin/Nürnberg) und Sobo Swobodnik (Filmemacher, Preisträger des Bremer Dokumentarfilm Förderpreis 2017, Berlin). Die Jurysitzung am 12./13. Mai 2020 fand aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie teilweise als Videokonferenz statt.

Der Schwerpunkt des Projektstipendiums liegt auf der Produktion. Aus den eingereichten 29 Projekten - davon 27 aus Bremen - wurden sechs Bremer Projekte in der Produktion, eins im Vertrieb/Postproduktion und eins in der Projektvorbereitung zur Förderung ausgewählt.

Ein künstlerisch-freier Ausblick: Die meisten Projekte des neuen Filmstart-Jahrgangs öffnen die Grenzen des traditionellen Films in Richtung Kunst.

Die Ergebnisse werden im Folgejahr auf dem Filmfest Bremen präsentiert.

 

Gefördert werden durch das Projektstipendium Filmstart 06

Delmenhorst 2020
Dokumentarfilm von Thomas Keiser
5.000 Euro, Produktionsförderung

Hinter Huchting ist ein Graben, und dahinter liegt direkt die unattraktivste Stadt Deutschlands. So ähnlich titelte 2015 der Deutschlandfunk in einem Online-Artikel. Angeblich ist sie auch die kriminellste Stadt Deutschlands und tatsächlich besagt die Geschichtsschreibung, dass bereits im Mittelalter Raubritter Gerd hier passierende Kaufleute überfiel.

Jurybegründung: Wer Delmenhorst nicht kennt, wird die Stadt mit dem Film „Delmenhorst 2020“ von Thomas Keiser kennen- und lieben lernen. Der Filmemacher, der selbst aus der „unattraktivsten Stadt Deutschlands“ (DLF) stammt, nähert sich dem Ort in humorvoller Erzählweise, indem er sich ganz unterschiedlicher filmischer wie künstlerischer Mittel bedient, um dem Mythos der Stadt auf die Spur zu kommen - oder ihn überhaupt erst zu konstruieren.


Die Scherben
Crossmediales Projekt + Kurzfilm von Jan van Hasselt
5.000 Euro, Produktionsförderung

Das Projekt sucht nach Hinweisen auf Pläne des nationalsozialistischen Regimes für einen ideologischen Science-Fiction-Film. Dabei taucht das Projekt ein in die bizarren Untiefen der NS-Kulturpolitik sowie in die Sphären von Okkultismus und Esoterik Anfang des 20. Jahrhunderts. Es geht um mechanisches Fernsehen, die Welteislehre und eher unbekannte "Standardwerke" der NS-Ideologie die, wie Mein Kampf, Hunderttausende besaßen aber niemand gelesen hat. Neben einem Kurzfilm wird aus dem Stoff ein Theaterprojekt entstehen.

Jurybegründung: Zwischen Medienarchäologie und Fiktion bewegt sich Jan van Hasselts neuestes Projekt. „Die Scherben“ spielt mit der Verführungskraft von Narrativen und der Lust, an sie zu glauben. So komplex wie (im besten Sinne) verschroben, verspricht das Konzept aufregende künstlerische Forschung mit Unterhaltungsfaktor.


Mama isst den Tod - Porträt Martina Werner
Porträtfilm von Monika B. Beyer
5.000 Euro, Vertrieb/Postproduktionsförderung

Laut und sprachgewaltig, schroff und unbekümmert hat Künstlerin Martina Werner ihre tiefgreifenden Einsichten in vergangene Zeitebenen mit der Realität einer klaren Gegenwärtigkeit verbunden.

Jurybegründung: Einfach, sparsam, geradezu klassisch in der Wahl der ästhetischen Mittel - dieser Film nimmt sich zurück und gibt uns dadurch Raum, uns einer Ausnahmekünstlerin zu nähern. Zwischen Ateliergesprächen und Archivaufnahmen gelingt der Filmemacherin ein so unsentimentales wie zärtliches Porträt. Allein: Wann haben wir jemals so viele männliche Künstler über eine weibliche Kollegin schwärmen sehen? Wir wünschen uns, dass der Film ein interessiertes Publikum findet und vielleicht zu einer neuen Würdigung des Schaffens dieser aufregenden Künstlerin beitragen kann.


Prayer
Experimenteller (Musik-)Film von Tobias Klich
5.000 Euro, Produktionsförderung

„Prayer“ wird ein experimenteller Film, der sich mit der Geschichte Taiwans auseinandersetzt.

Jurybegründung: Tobias Klichs musikalisch-filmisches Projektvorhaben „Prayer“ überzeugt die Jury durch die überraschende Entfaltung politischer Zusammenhänge anhand eines einzigen musikalischen Motivs. Ausgehend von dem scheinbar harmlosen Kuriosum, dass in Taiwan ein Salonmusikstück aus Europa als Erkennungsmelodie von Müllwagen dient, verspricht „Prayer“ zu rekonstruieren, wie Politik Unerwünschtes entsorgt oder nur neu arrangiert, und wie Kunst - skulptural, musikalisch - es schafft, dem Thesenhaften ein Rätsel einzuschreiben, jenseits starrer Rituale.


Mexican Me
Dokumentarfilm von Timur Mansuroglu (Produktion) und Can Mansuroglu und Imke Hansen
5.000 Euro, Projektvorbereitungsförderung

Für den obdachlosen „Deportado“ Manny ist die mexikanische Grenzstadt Tijuana die Endstation, seine Abschiebung die Quittung dafür, dass er in seinem früheren Leben nach den Regeln der mexikanischen Mafia „La Eme“ gelebt hat. Doch dem Ende mit Schrecken wohnt auch ein neuer Anfang inne.

Jurybegründung: „Mexican Me“ blickt in eine Lebenswirklichkeit, die den meisten Menschen fremd anmuten dürfte: ein Leben jenseits der gerade entstehenden amerikanischen Mauer in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana. Das Porträt über den einstigen Mafioso Manny nimmt uns mit in eine Welt jenseits der üblichen Medienberichterstattung und zeigt eindrucksvoll, wie sich konkrete Politik auf die Lebensbedingungen der davon betroffenen Menschen auswirkt.


Töchter der Revolution
Dokumentarische Serie von Christine Vogelsang
5.000 Euro, Produktionsförderung

Im Sommer 2018 schließen die Regierungen Äthiopiens und Eritreas nach jahrzehntelanger Feindschaft den von den Menschen in beiden Ländern ersehnten Frieden. Die drei charismatischen und selbstbewussten jungen eritreischen Frauen Fiori, Helen und Halima nehmen uns mit auf eine Reise durch ein Land, welches von großen Umbrüchen geprägt ist.

Jurybegründung: Christine Vogelsang führt uns in ein Land, von dessen spannenden Umwälzungen in den letzten Jahren in Europa viel zu wenig bekannt ist: nach Eritrea. Für ihr groß angelegtes dokumentarisches Projekt „Töchter der Revolution“ bereist sie seit mehreren Jahren das ostafrikanische Land und spricht mit drei sehr unterschiedlichen Frauen, von denen jede auf ihre Art versucht, das Land neu mit aufzubauen. Die bisherigen Arbeitsproben zeugen von Vogelsangs großem Gespür für Rhythmus, Tempo und Kontraste. Die Jury ist gespannt, welchen dramaturgischen Bogen die Regisseurin bei der Umkreisung des Themas Selbstbestimmung in einem Ein-Parteien-Regime findet und wünscht sich deshalb, dass sie aus dem vielversprechenden Material zunächst eine von drei geplanten Episoden fertigstellt.


Einigkeit einig vereint einen vereint Einigkeit (AT)
Essayfilm von Stephan Thierbach und Norman Naumann (Produktion)
4.000 Euro, Produktionsförderung

Der Film ist der Versuch einer Reise per Anhalter durch einen Staat, der nicht mehr existiert. Die zentrale Frage, die die Autoren mitnehmen, ist die nach dem „Verschwinden“. Dieser Dokumentarfilm/Essayfilm wird das Publikum entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze führen, zu Gedenkstätten und zu Orten des (alltäglichen) Widerständigen innerhalb eines repressiven Systems.

Jurybegründung: Gibt es jenseits von Sentimentalität eine Möglichkeit, einen Staat zu durchqueren, der nur noch als innere Landkarte existiert? Der Künstler Stephan Thierbach stellt sich mit seinem dokumentarischen Essayfilm „Einigkeit einig vereint einen vereint Einigkeit“ der Aufgabe, entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze verschwundene Räume und Räume des Verschwindens filmisch aufzuspüren. Auch wenn sich der Titel selbst wie ein sperriger Grenzzaun ausnimmt, versprechen Thierbachs visuelle Neugierde, sein Gespür für das Auffinden von architektonischen und geografischen Strukturen und sein offenes und zugleich konzises Konzept eine zeitgemäße Archäologie, die neue Perspektiven auf ein verfahrenes Thema bereithält.


Wiederkehr / Povratak
Dokumentation einer performativen Reise von Branka Colic
3.000 Euro, Produktionsförderung

Eine Reise mit zwei Urnen. In den Urnen die Asche meiner Eltern. Ich bringe sie dahin zurück, wo sie herkommen. Ich weiß genau, wo das ist. Auch wenn es das Land nicht mehr gibt. Bei mir selbst bin ich da nicht so sicher.

Jurybegründung: Lässt sich Trauer repräsentieren? Eine performative Reise, zehn Jahre später. Die Form des filmischen Re-Enactment ermöglicht ein Spiel mit Erinnerung, Authentizität, Erzählung. Wir sind gespannt auf poetische, kontemplative Bilder zwischen Roadmovie und Experimentalfilm.