Zu Besuch beim Seestadt-Archiv Bremerhaven
Junges Kollektiv entwickelt ein digitales Archiv für Bremerhaven
Am Sonntag, 12.09. reiste Carmen zur Stippvisite in die nordische Exklave Bremens nach Bremerhaven in die "Alte Bürger". Dort fand sie nicht nur ein buntes, kreatives Stadtviertel mit Live-Performances und Outdoor-Ausstellungen vor, sondern auch das Büro der jungen Herren vom Seestadt-Archiv. Durch die dezente Wand-Deko mit Terminankündigungen im Erdgeschoss (Foto) konnte sie das Haus voll kreativem Aufbruch, Projekten und Events nicht verkennen. „Bald schon soll dort eine Fensterfront sein, dessen bodentiefe Fenster man komplett aufschieben kann“, erzählte Niklas Piatkovski stolz. „Dann könnten dort auch größere Exponate, oder sogar Autos ausgestellt werden“.
Das Haus haben sie der Stadt abgekauft. Vorher weilte es im Besitz eines holländischen Unternehmers, der die Wohnungen verwahrlosen und leerstehen ließ.
Es ist ein waghalsiges Unterfangen, ein Haus ohne Eigenkapital zu erwerben - und dass es trotzdem klappte, überraschte die jungen Kreativen auch selbst ein bisschen.
Aber ihre Pläne und Konzepte sind vielseitig. Das CLOSEUP-geförderte Projekt über den physischen und digitalen Aufbau eines Stadt-Archivs hat ganz lapidar angefangen. Niklas gab den Begriff „Bremerhaven“ bei ebay-Kleinanzeigen an und speicherte die Suche, um fortan alles zu kaufen, was Bremerhavenbezug hatte. So sammelte sich, ohne derzeit genauere Pläne zu haben, schnell ein Arsenal an Büchern, Chroniken, Bildern, Broschen, Gläsern und diversen anderen Gegenständen an. Freunde bezeichneten die beiden scherzhaft als Messis.
Heute ist aus einem Haufen Flohmarkt-Nippes ein durchstrukturiertes #Archiv erwachsen. Lagerregale ragen in die Höhe, Niklas startet den iMac und zeigt die selbst erstellte und mit einer Inventarlogik entwickelte Datenbank. Alle Gegenstände werden hochauflösend fotografiert, inventarisiert und mit einer intelligenten Struktur verstichwortet. Hier sollen nicht nur die Gegenstände, sondern auch Beziehungen abgebildet werden. Das wird noch eine große Herausforderung, aber die beiden Macher sind zuversichtlich, dass sie am Ende neben Learnings auch ein ansehnliches Produkt in den Händen halten.
Der eigentliche Grund des Besuchs unserer Referentin war aber, dass Jan und Niklas im Rahmen des deutschlandweiten LETsDOK - Festivals Dokumentarfilme mit Bremerhaven-Bezug in ihrem Büro zeigen.
Der Kunstfilm „Leerstand“ portraitierte die Metamorphose des Hauses, das Seestadt Archiv und das Kollektiv „Kunst im Aufbruch“ kaufte und renovierte. Schnelle Schnitte, Zeitraffer und Kamerafahrten nehmen den Zuschauer mit in die heruntergewohnten Räume. Schwebende Heizungsregler sind der ständige Begleiter; es lässt sich erahnen, wie viel Zeit die Renovierung in Anspruch nahm und nehmen wird, längst sind die jungen Entrepreneure nicht am Ende ihrer Ausbauarbeiten.
Eine Dokumentation gab exklusive Einblicke in das "Kabinett für Aktuelle Kunst" um den Kunstfreund und Ausstellungsmacher Jürgen Wesseler preis. Diese eröffnete Perspektiven auf Bremerhaven als renommierte Kunst-Stadt, zu der Künstler:innen und kunstaffine Menschen hinpilgerten - weitgehend vergessen. Der Filmemacher war selbst vor Ort, um Fragen über den Film zu beantworten und über seine Intentionen und Ziele hinter dem Film zu sprechen. Nämlich: Erinnern und ins Gedächtnis rufen, bevor Wesseler durch seine Demenzerkrankung selbst droht zu vergessen, was er für den Ort und die zeitgenössische Kunst geleistet hat.